25. Mai 2021

PV Harburg: Strategie oder StrO-Feuer? Es wäre Zeit für eine realistische Bestandsaufnahme.

Ein offener Brief des PV Harburg

Sehr geehrter Herr Polizeipräsident Ring!

Personalräte und Gewerkschaften haben sich im Jahr 2017 aufgrund der starken Belastungen aller polizeilichen Einsatz- und Ermittlungsdienststellen nachdrücklich für personelle Verbesserungen eingesetzt.

Dies trug neben dem akuten Handlungsdruck in dem dann überraschend früher einsetzenden Landtagswahlkampf dazu bei, dass das Thema von allen Parteien aufgegriffen wurde und jeder noch ein bisschen mehr bieten wollte.

In den Koalitionsvertrag fand nachfolgend Eingang, dass die Landesregierung bis zu 3000 Beschäftigungsmöglichkeiten (Vollzug und Beschäftigte) anstrebt, in einem ersten Schritt 1500.
In einem beispiellosen Kraftakt wurden dann auch (die von der Politik bis dahin versäumten) Einstellungen vollzogen und die PA weit über die jemals geplanten Einstellungszahlen belastet, welche diesen Auftrag sehr respektabel bewältigte.

Um den Zugewinn an Personal effizient einzusetzen und für alle gewinnbringend zu verwenden wurde das Projekt der Strategischen Organisationsanpassung (StrO) ins Leben gerufen, auch um den Personalzuwachs nicht „versanden“ zu lassen. Unter versanden wurde somit die Personalzuweisung an die Basisdienststellen verstanden, deren Personalbedarfe zuvor seitens Personalvertretungen und Gewerkschaften reklamiert wurden. Die StrO wurde positiv begleitet, jedoch berechtigter Weise gefordert, dass die Umsetzung nicht zu Lasten der Basisbedarfe erfolgen dürfe.

Der Personalgewinn im Bereich des Vollzuges durch die Neueinstellungen wurde durch das Projekt auf 1210 Stellen beziffert, wobei es sich um Planungs- also Bruttowerte handelt.
Zum 01.04.2021 sind im Wesentlichen 2/3 der geplanten zusätzlichen Personalzuweisungstermine zur Umsetzung der StrO hinter uns gebracht.

Dieses macht aus Sicht der Gewerkschaft eine Zwischenbilanz des Erreichten und eine realistische Betrachtung der zukünftigen Entwicklung erforderlich.

Planungsgemäß umgesetzt wurden in der PD zum 01.04.21 die Aufstockung der VE’en auf die Zielstärke, i.d.R. 1/15. Diese steht allerdings nur auf dem Papier, da aufgrund der dringenden Bedarfe der Basisdienststellen mit Rückabordnungen gearbeitet werden musste.

Zunehmend erreichen uns als DPOLG Harburg besorgte Äußerungen und Anfragen von Kollegen, wie die StrO abgeschlossen werden kann und inwieweit dieses zu Lasten der Dienststellen geht.
Aus diesem Grunde erscheint es notwendig die Personalentwicklung im Zusammenhang nach den bisher vorliegenden Zahlen und Erfahrungen zu betrachten. Hierbei spielt insbesondere das typische Polizei-Brutto-Netto-Problem eine Rolle. Sowohl bei der Planung der StrO, als auch bei dem Verkaufen politischer Erfolge bei den Einstellungen werden ausschließlich die Einstellungszahlen argumentiert, ohne zu betrachten, welches Personal dann tatsächlich in den Dienststellen ankommt. Hierbei spielen insbesondere die Durchfallquoten an der PA eine Rolle, welche global mit 5 – 10% benannt werden, jedoch nie konkret beziffert und erhoben werden, jedenfalls nicht für uns erkennbar.

Die konkreten Einstellungszahlen aus den Jahren vor 2019 lagen nicht vor, sie müssten jedoch in die Kalkulation, wieviel Neueinstellungen denn tatsächlich in der Fläche angekommen sind, berücksichtigt werden. Hierdurch reduziert sich naturgemäß das für die StrO verfügbare Personal, sofern man die „Basisdienststellen“ nicht belasten will.

Aus Sicht der DPOLG Harburg ergeben sich daraus folgende Bewertungen/Fragen:
- Zum und nach dem 01.10.21 stehen von den Bruttoplanwerten der StrO landesweit noch 452 Stellen (259, 184, 9) zur Verfügung. Bei einer zur Vereinfachung linearen Überschlagsrech-nung (6 Behörden, 6 PI’en), tatsächlich erhalten wir weniger, ergeben sich hieraus 12 Stellen pro PI. Abzüglich der bereits angesprochenen Durchfallquote und des Ausgleichs der genannten Abordnungen ergibt sich eine Perspektive für einen weiteren realen Zuwachs nahe Null.
- Die weiteren Umsetzungen der StrO sind in den PI’en im Wesentlichen im Bereich des ZKD angesiedelt. In der PI wurde der Personalbedarf aufgrund von Pensionierungen, schon feststehenden und sich abzeichnender Personalabgänge und der Personalbedarf zur weiteren Umsetzung der StrO auf 18 Stellen beziffert (ohne vollständige Umsetzung eines FK-Forensik, ohne Zielstärke Fahndung). Diese Größenordnung, ohne eine Erbsenzählung im Detail, lässt erkennen, dass eine vollständige Umsetzung der StrO bis Ende 2021 nur zu Lasten der Basisdienststellen erfolgen kann. Darüber hinaus wird die StrO durch einen massiven Verlust an Ermittlungserfahrung und Fachkompetenz belastet, welche erst entsprechend wieder aufgebaut werden muss.
- Die geplanten personellen Verbesserungen reichen (in welcher Höhe sie dann real eintreten mögen) exakt bis zum nächsten Wahltermin im Herbst 2022.
- In den 4 Nachfolgejahren zeichnen sich massive Personalverluste in Höhe von 1638 bis 1780 Vollzugsstellen ab. Selbst bei einer sofortigen politischen Umkehr und Wiederholung eines ähnlichen Kraftaktes wie eingangs geschildert sind die Personalverluste bereits unumkehrbar, da der Jahrgang 2023 längst eingestellt sein müsste. Sollen die ganzen Bemühungen der letzten Jahre völlig umsonst gewesen sein?
- Die fundierte Sacharbeit an der Fortentwicklung der polizeilichen Arbeit im Rahmen der StrO bekommt den Charakter eines Erstellens von Hochglanzprospekten, von einem nicht nachhaltig hinterlegten „Wünsch-dir-was“. Spätestens hier stellt sich unausweichlich die Frage StrO zurückfahren, wenn ja wo, oder Belastung der Basisdienststellen?
- Handelt es sich um eine Strategie oder StrO-Feuer wenn Planung und Umsetzung rund 3 Jahre beanspruchen, dann aber nach einer Halbwertzeit von einem Jahr nach ihrer Umsetzung der StrO die geplanten personellen Voraussetzungen entzogen werden?

Bei der Betrachtung der Rahmenumstände fällt weiterhin auf, dass die PD LG Anfang 2019 bei der Personalausstattung (im Vergleich der 4 kleineren und vergleichbaren PD’en; BS, LG, GÖ,OS) einen Rückstand zur nächst schlechteren PD GÖ von 90 und der im Vergleich besten PD BS 160 Vollzugsbeamten hatte. Zu Beginn diesen Jahres hat die PD LG nach Jahrzenten die rote Laterne an die PD GÖ abgegeben und die genannten PD’en verfügen über eine im Wesentlichen gleiche Personalausstattung. Diese Wandlung ist sicher auch auf ihr Wirken zurückzuführen.

Dagegen wurde bereits in den Leitlinien der Projektvereinbarung zur StrO festgeschrieben: Das bestehende Modell der Planstellenverteilung hat sich bewährt und bleibt grundsätzlich, insbesondere in den Parametern der belastungsoprientierten Verteilung, bestehen.

Gleiches findet sich in dem letzten Erlass zur Planstellenverteilung, nachdem die Kriterien erhalten bleiben. Demnach haben wir aber weiterhin bei der belastungsorientierten Verteilung von 0,8 % zu Göttingen und 1,4 % zu BS. Im Ergebnis haben wir demnach bei der bisherigen Umsetzung der StrO von nicht transparenten „Sonderfaktoren“ profitiert, welche die Eigenschaft haben besonders flüchtig zu sein. Sind wir demnach von einem Goodwill des MI abhängig, ob es sich an die eigenen Personalverteilungs-parameter hält oder nicht? Aus diesem Problemfeld könnten sich zusätzlich zur negativen Entwicklung der Jahre 2023-26 Nachteile für die PD LG ergeben.

Daraus ergeben sich für uns Fragen an unsere verantwortliche Behörde, welche die Rahmenbedingungen ja nicht zu verantworten aber umzusetzen hat:


- Können die vorgelegten Zahlen bestätigt werden, gibt es darüber hinaus aktuellere oder ergänzende Werte?
- Wie sieht die Behörde die Chancen für eine vollständige Umsetzung der StrO?
- Wie sieht die Behörde den sich abzeichnenden Konflikt zwischen Umsetzung der StrO vs berechtigte Bedarfe der „Basisdienststellen“?
- Wie sieht die Behörde die Wertigkeit verschiedener Maßnahmen der StrO? Hat ggf die Zielstärke der VE’en aufgrund der eingesparten Einsatzhundertschaft in jedem Fall Priorität vor der Umsetzung der anderen geplanten Maßnahmen / Bedarfen der „Basisdienststellen“?
- Wie bewertet die Behörde die möglichen Auswirkungen der beschriebenen „Sonderfaktoren“ bei der Personalzuweisung auf die Behörde und damit auf die Umsetzung der StrO?
- Gibt es einen Plan B zur Umsetzung der StrO, welcher versucht die tatsächliche Personalentwicklung zu berücksichtigen?

Mit freundlichen Grüßen
Uwe Hesebeck
PV-Vorsitzender

zurück