08. August 2021

Leitartikel Polizeispiegel Niedersachsen Juli/August 2021

Richtige Schritte = neue Herausforderungen

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich habe mich dazu entschieden mal einen etwas anderen Leitartikel zu schreiben, der wieder einmal aufzeigt, dass richtige, wichtige und notwendige Schritte nicht zu früh mit gegenseitigem politischem Schulterklopfen und rückblickenden Lobgesängen für beendet erklärt werden dürfen, sondern der beschrittene Weg erst konsequent zu Ende gegangen werden muss, bevor man sich ausruht und selbst feiert – denn für andere zuständige Aufgabenbereiche sind die anschließenden Probleme bei allem Verständnis noch lange nicht geklärt!

Der Deutsche Bundestag hat Ende März das Gesetzespaket zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder beschlossen. Neben einer Verschärfung des Strafrechts soll hierdurch auch die effektivere Strafverfolgung ermöglicht werden, um Kinder zukünftig besser schützen zu können und das Entdeckungsrisiko des Täters zu erhöhen, sowie in der Justiz die Sensibilität für den Umgang mit betroffenen Kindern zu steigern.

Bei sexueller Gewalt gegen Kinder handelt es sich um einen Deliktsbereich mit großem Dunkelfeld. Die bekanntgewordenen und registrierten Opferzahlen bewegen sich schon seit Jahren auf einem konstant hohen Niveau: In 2019 stieg die Zahl der Kinder, die als Opfer von sexueller Gewalt registriert wurden, gegenüber dem Vorjahr um 9 Prozent auf knapp 16.000 an. Dies bedeutet, dass im Jahr 2019 jeden Tag durchschnittlich etwa 43 Kinder in versuchten oder sogar vollendeten Taten Opfer von sexueller Gewalt geworden sind.

Besonders auffällig und gleichzeitig erschreckend sind die Entwicklungen im Bereich der Kinderpornografie: Im Jahr 2019 wurden fast 12.300 Fälle von Herstellung, Besitz und Verbreitung kinderpornografischer Schriften in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfasst. Das entspricht einem Zuwachs von fast 65 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der Anstieg liegt vor allem in der verbesserten internationalen Zusammenarbeit begründet, die dem Bundeskriminalamt (BKA) zahlreiche Hinweise in diesem Deliktsbereich lieferte.

Doch all diese Zahlen stellen nur das Hellfeld dar, denn insbesondere sexuelle Gewalt gegen Kinder beinhaltet ein hohes Dunkelfeld. Die Gründe hierfür sind vielfältig, die wichtigsten sind:

-       Kinder sind oft angewiesen auf, bzw. abhängig von Täter/-in, insbesondere, wenn diese/r zur Familie gehört (in 25% der Fälle) oder aus dem familiären Umfeld oder dem erweiterten Bekanntenkreis, wie Nachbarschaft oder Vereinsleben stammt (in 50% der Fälle).

-       Kinder haben geringere Möglichkeiten Hilfe zu erlangen und trauen sich dies auch häufig nicht zu. Je jünger sie sind, desto hilfloser sind sie.

-       Kinder haben Angst davor noch schlimmeres Leid und Übel zu erfahren, ohne das ihnen geholfen wird.

Fest steht also, dass 75% der Täter/-innen aus der Familie, bzw. dem sozialen Umfeld kommen. Fremdtäter stellen somit eher eine Ausnahme dar.

Insgesamt befinden wir uns mit diesem Gesetzes- und Maßnahmenpaket auf einem guten Wege, denn je höher das Entdeckungsrisiko für die Täter ist, desto besser kann auch ein Schutz für Kinder ausgebaut werden und wirken.

Allerdings werden die hier beschlossenen Maßnahmen allein nicht ausreichen, denn das BKA dokumentierte für das Berichtsjahr 2019, dass bei jedem zehnten der im BKA bearbeiteten Fälle die mitgelieferte IP-Adresse -als einziger Ermittlungsansatz- nicht abfragbar war, weil die dazu gehörenden Nutzerdaten den Providern nicht mehr vorlagen. Viele Provider setzen die Regelungen zu den gesetzlichen Mindestspeicherfristen noch immer nicht um. Dies führt in der Konsequenz dazu, dass die Verbreitung von Kinderpornografie nicht so effektiv bekämpft werden kann, wie vorgesehen und das Entdeckungsrisiko noch immer gering erscheint. Hier muss dringend weiter nachgebessert werden.

Ein weiteres Problem geht mit der folgerichtigen Verschärfung des Strafrechts einher, wonach zukünftig jeder Besitz einer kinderpornografischen Datei einen Verbrechenstatbestand darstellt. Hierdurch werden mehr Richter, mehr Staatsanwälte, mehr Haftplätze, vor allem aber mehr Ermittler benötigt. Das Gesetz sichert alle notwendigen Mechanismen, einschließlich der Strafverfolgungsmöglichkeiten. Das Problem ist dann die nicht ausreichende Anzahl der Ermittler. Denn wenn systematische Kontrollen im Darknet durchgeführt würden und Funde nicht mehr nur Zufallstreffer wären, werden auch die Fallzahlen mit hoher Wahrscheinlichkeit rasant ansteigen. Da eine Verurteilung dann eine Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren, bei Weitergabe sogar bis zu 10 Jahren bedeutet, werden wir auch in Niedersachsen deutlich mehr Haftplätze benötigen.

Und noch eine Randnotiz: Christoph Metzelder kann also richtig froh sein, dass sein Verfahren wegen Weitergabe von kinder- und jugendpornografischen Dateien wenige Tage vor der Gesetzesänderung abgeschlossen wurde und er lediglich zu zehn Monaten Haftstrafe auf Bewährung verurteilt wurde. Einige Tage später wäre er prognostisch für mehr als zwei Jahre in Haft gegangen.

 

Bleibt gesund

Lars Hitzemann, stellvertretender Landesvorsitzender

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