Vorstellung des Niedersächsischen Verfassungsschutzberichtes 2024
Die DPolG fordert mehr Personal in einer gut auszustattenden Verfassungsschutzbehörde
Der niedersächsische Verfassungsschutzbericht 2024 zeichnet ein deutliches Bild: das vergangene Jahr war geprägt von multiplen Krisen wie dem Krieg Russlands gegen die Ukraine, dem eskalierten Nahost-Konflikt, Migrationsthematiken und geopolitischen Spannungen. Diese Rahmenbedingungen haben die gesellschaftliche Polarisierung verstärkt und dem Extremismus einen Nährboden geboten. Hybride Bedrohungen wie Spionage, Sabotage, Cyberangriffe und ausländische Einflussnahme nahmen deutlich zu.
Die größte Bedrohung für die Demokratie im Land geht weiterhin vom Rechtsextremismus aus. Mit rund 1.970 Personen ist das rechtsextreme Personenpotenzial deutlich gestiegen – ein erheblicher Teil davon entfällt auf Mitglieder der AfD und ihrer Jugendorganisation die Junge Alternative, die seit Mai 2022 als Verdachtsobjekt unter Beobachtung steht. Diese konnten in Niedersachsen einen Zuwachs zum Vorjahr von 600 auf 850 Personen verzeichnen. Besonders besorgniserregend ist die zunehmende Vernetzung in der Szene, etwa durch jugendnahe Strukturen wie die Gruppierungen „Jung & Stark“ und „Deutsche Jugend voran“ die versuchen, junge Menschen in rechtsextremistische Denkmuster einzubinden.
Auch jenseits der Parteipolitik nimmt die Radikalisierung zu: Neonazistische Gruppen sind wieder aktiver, Reichsbürgerbewegungen wachsen – wenngleich auf niedrigerem Niveau – und sie zeigen sich zunehmend militant. Die Zahl der „Reichsbürger“ in Niedersachsen wird auf etwa 1.180 geschätzt, darunter 40 mit explizit rechtsextremer Ausrichtung.
Der islamistische Extremismus ist zwar leicht rückläufig, bleibt aber ein ernstes Thema. Die Zahl salafistischer Personen sank leicht auf etwa 650, doch die Gefahr verlagert sich immer stärker in digitale Räume. Dort wirken sich Radikalisierung, Propaganda und Rekrutierungsversuche besonders auf Jugendliche aus. Die jüngsten Anschläge in Mannheim und Solingen führen vor Augen, wie schnell digitale Radikalisierung in reale Gewalt münden kann. So konnte in den Bereichen der islamistisch geprägten Straftaten (politisch motiviert) sowie der ausländisch ideologischen Straftaten ein Anstieg verzeichnet werden. Die Dunkelziffer junger Islamisten im Netz wird als sehr hoch eingeschätzt, die Szene wird durch die Protagonisten dadurch gezielt verjüngt.
Auch der Linksextremismus hat leicht zugenommen. Mit rund 840 Personen umfasst die Szene zwar deutlich weniger Menschen als das rechte Spektrum, zeigt sich aber in ihren Aktionen zunehmend organisiert, vor allem bei Protesten gegen AfD-Veranstaltungen und im Kontext von Rüstungsexporten und dem Ukraine-Krieg. Gewaltbereitschaft bleibt ein zentrales Thema, wobei die Gewaltakte gegen Polizeibeamte sowie Sicherheitskräfte zurückgingen, die Gewalt gegen Rechtsextremisten jedoch anstieg.
Ein zentrales neues Kapitel im Verfassungsschutzbericht ist den sogenannten hybriden Bedrohungen gewidmet. So wurden erstmals die beiden Sonderkapitel „Nahost-Konflikt und Antisemitismus“ sowie der „Krieg Russland gegen die Ukraine“ aufgegriffen.
Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine sind Angriffe auf kritische Infrastruktur, gezielte Desinformation und Spionage massiv gestiegen, Drohnen über Industrieanlagen, Sabotageversuche und Cyberattacken häufen sich. Der Verfassungsschutz hat darauf reagiert und eine neue Koordinationsstruktur eingerichtet, die Behörden, Wirtschaft und Sicherheitsdienste besser verzahnen soll.
Ein weiteres zentrales Thema des Berichts ist der wachsende Antisemitismus, befeuert insbesondere durch die Eskalation im Nahen Osten. Bei propalästinensischen Demonstrationen in Niedersachsen wurden mehrfach antisemitische Parolen gerufen, Hass gegen Israel geschürt und jüdisches Leben in Deutschland verunglimpft. Der Bericht warnt eindringlich vor einem gefährlichen Schulterschluss: Islamisten, Rechtsextreme und Teile der linken Szene vereint der Antisemitismus als gemeinsamer Nenner, eine Entwicklung, die sowohl ideologisch als auch auf der Straße spürbar ist.
Insgesamt verdeutlicht der Verfassungsschutzbericht 2024, wie vielschichtig die Bedrohungen für die Demokratie in Niedersachsen geworden sind. Eine Zunahme extremistischer Personen und Straftaten in allen Spektren, insbesondere Rechtsextremismus, Islamismus und antisemitisch motivierter Gewalt, gepaart mit hybriden Bedrohungen durch Cyberangriffe und Spionage.
Rechtsextremismus, islamistischer Terror, linksextreme Gewalt, digitale Angriffe und antisemitische Hetze wirken parallel und oft miteinander vernetzt. Der Verfassungsschutzbericht ruft deshalb nicht nur zu politischer Wachsamkeit auf, sondern betont auch die Verantwortung jedes Einzelnen, sich klar gegen Extremismus in all seinen Formen zu positionieren. Zudem betont der Verfassungsschutz seine zentrale Rolle bei der Abwehr, Prävention und Aufklärung in Kooperation mit anderen Sicherheitsbehörden.
Angesichts der Zunahme extremistischer Gefährdungslagen ist ein massiver Personalaufbau im Verfassungsschutz zwingend erforderlich. Nur so können Radikalisierungsverläufe frühzeitig erkannt und koordiniert werden. Die digitale Radikalisierung findet oft im Verborgenen statt, auf Plattformen, in verschlüsselten Netzwerken und über Messenger-Dienste. Der Verfassungsschutz benötigt rechtssichere, erweiterte Zugriffs- und Auswertemöglichkeiten, um auch in digitalen Räumen wirksam agieren zu können. Um geeignetes Fachpersonal für die Arbeit im Verfassungsschutz zu finden, braucht es überdies eine bessere Vergütung, moderne Arbeitsbedingungen sowie klare Karriereperspektiven. Die ideologischen Verschränkungen von Islamisten, Rechtsextremisten und linksextremen Antisemiten stellt neue Herausforderungen an Analyse und Einordnung. Kontinuierliche Fortbildung und interdisziplinäre Expertise sind somit unerlässlich. Denn nur mit einer gutausgestatteten, personell gestärkten und rechtlich handlungssicheren Verfassungsschutzbehörde können wir der wachsenden Bedrohung für unsere Demokratie begegnen.
Corinna Bolz
www.verfassungsschutz.niedersachsen.de/download/218671/Verfassungsschutzbericht_2024.pdf