22. Mai 2023

Föderalismus: Triebfeder eines Wettbewerbs oder lähmendes Hindernis?

GEMEINSAM KÖNNTEN WIR STÄRKER SEIN

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

unter Föderalismus wird heute vorwiegend ein Organisationsprinzip verstanden, bei dem die einzelnen Glieder (Gliedstaaten) über eine begrenzte Eigenständigkeit und Staatlichkeit verfügen, aber zu einer übergreifenden Gesamtheit (Gesamtstaat) zusammengeschlossen sind. Soweit die technokratische Defintion des sperrigen Begriffes. Was aber bedeutet Föderalismus aus polizeilicher Perspektive tatsächlich?

Das möchte ich anhand von Beispielen betrachten und schlussendlich die Frage stellen: Wieviel Föderalismus tut uns in der heutigen Welt noch gut? Was kann Abhilfe leisten?
 

Ich befürchte, dass jedem und jeder im dienstlichen Kontext einmal Probleme entstanden sind, weil Föderalismus im weiteren oder engeren Sinne Grenzen gesetzt hat. Grundsätzlich ist die erwachsene Form eigener Zuständigkeiten und dennoch faktischer Grenzen in der Bundesrepublik ein bewährtes System. Wenn aber die Welt schneller, digitaler und vor allem globaler wird, gelangt dieses System an seine immanenten Grenzen.
 

Reisende Täter sind nichts Neues, doch sehen wir anhand der Zunahme an Geldautomaten-Sprengungen deutlich, dass neben klassischer Ermittlungstätigkeit an den Tatorten und drumherum, der Erfahrungsaustausch der Bundesländer immens wichtig ist. Dass das mittlerweile passiert, ist wichtig und richtig, doch wäre es nicht sinnvoll, länderübergeifend oder sogar staatenübergreifend Ermittlungsgruppen zusammenzustellen? Wäre es nicht sinnvoll aufeinander abgestimmte Konzepte für alle Bundesländer zu haben oder ergibt es Sinn, ist das noch zeitgemäß, dass jeder das so abarbeitet, wie die eigene Inspektion es möchte?

Wenn im südniedersächsischen Grenzgebiet zu Hessen und Nordrhein-Westfalen Straftaten passieren, werden Sie im Vorgangsbearbeitungssystem NIVADIS dokumentiert und sind abrufbar - in ganz Niedersachsen. Was aber, wenn ein Täter vergisst, dass er eigentlich in Niedersachsen zu bleiben hat und stattdesssen über die Grenze fährt und dort kontrolliert wird? Insofern diese Kontrolle augenscheinlich ohne Feststellungen verbleibt, bleibt sie in Hessen oder Nordrhein-Westfalen. Sie könnte aber sehr wohl interessant sein für die ermittelnden Kollegen in Niedersachsen. Ergibt das Sinn oder bedarf es Veränderungen?

Die Polizeizulage wird erhöht - der Applaus bleibt aufgrund der Summe verhalten. Doch zeigt die Zulage als solche noch ein ganz anderes Problem. Sie ist per Definition eine Gefahrenzulage. Gefahren scheinen aber in anderen Bundesländern anders zu sein, der Beruf sich nachhaltig zu unterscheiden. Sind Gefahren des Polizeiberufes in Bayern wirklich so anders als in Niedersachsen? Da habe ich so meine Zweifel. Von der Besoldung grundsätzlich und der amtsangemessenen Alimentation im Speziellen möchte ich an dieser Stelle gar nicht reden.

Nachwuchsmangel ist kein landesweites Problem, sondern eines, welches alle Polizeien der Länder, weniger die Bundespolizei trifft. Warum ist das so? Zum einen gibt es massive Unterschiede in der Besoldung, aber auch in Ausstattung, Laufbahn und den Liegenschaften. Selbst das einst so stolze Bayern sucht nach geeigneten jungen Leuten, die Schutzmann oder Schutzfrau werden wollen. Statt gemeinsamer Anstrengungen bundesweit, kocht jedes Land sein eigenes Süppchen. Es werden Einstellungstermine vorverlegt, man startet Attraktivitätskampagnen, verändert Einstellungstests usw. Wir erleben also ein regelrechtes Wettrüsten der Länder, um die Zahlen noch einigermaßen zusammenzubekommen, und dabei ist es vollkommen egal für Niedersachsen, wenn dann für Bremen keine Bewerberinnen und Bewerber mehr übrigbleiben. Eine zu kurz gedachte Strategie nach meinem Dafürhalten.

Wieviel Föderalismus tut uns also noch gut? Ein föderales Prinzip hat gerade organisationell durchaus seine Berechtigung. In der Kooperation, dem Datenaustausch, den Strategien und eben auch der Alimentation muss aber gelten: Gemeinsam sind wir stark! Die Welt endet nicht an der Landesgrenze, das sollte allen Bundesländern klar sein. Kriminalität tut dasselbe.

Der Trend zu tiefergehender Kommunikation, gemeinsamen Projekten und Systemen muss konsequent und noch deutlich geradliniger weiterverfolgt werden. Föderalismus kann Triebfeder eines Wettbewerbes sein, der Innovation und Produktivität fördert oder aber ein lähmendes Hindernis. Als Gewerkschaft sind wir Impulsgeber und Mahner von außen, als Mitarbeitende der Polizei Niedersachsen sollten wir das von innen sein!

Euer Patrick Seegers, Landesvorsitzender

zurück