19. Juni 2024

Niedersachsen: Verfassungsschutzbericht 2023

Hohe Bedrohung in Zeiten des Personalmangels

  • Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport -Verfassungsschutz-
  • Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport -Verfassungsschutz-

Im Rahmen der Vorstellung des Niedersächsischen Verfassungsschutzberichtes 2023 nahm unsere Innenministerin Daniela Behrens folgendermaßen Stellung:

 

„Aktuell feiern wir den 75. Jahrestag unseres Grundgesetzes. Zeitgleich müssen wir feststellen, dass unsere Demokratie, unsere Freiheit und unsere Art zu leben von unterschiedlichen Seiten bedroht und angegriffen werden. Die Arbeit des Verfassungsschutzes ist deshalb - auch als Frühwarnsystem unserer Demokratie - wichtiger denn je!

•        Rechtsextremismus bleibt die größte Gefahr für unsere Demokratie!

•        AfD in Niedersachsen weitere zwei Jahre zum rechtsextremistischen Verdachtsobjekt bestimmt.

•        Breite Solidarisierung mit der Terrorgruppe HAMAS im gesamten islamistischen Spektrum seit dem Angriff gegen Israel am 07.10.2023.

•        Linksextremismus instrumentalisiert immer mehr gesellschaftlich relevante Themen wie Klimaschutz oder „Wohnraumumgestaltung“ und bezahlbarer Wohnraum für  eigene politische Zwecke. 

•        Aus Russland gesteuerte Desinformationskampagnen sollen unser demokratisches System destabilisieren.“

 

Als Fachverband Innenministerium können wir uns den Schwerpunkten unserer Innenministerin voll und ganz anschließen.

Betrachten wir diese politischen Schwerpunkte jedoch etwas genauer, lassen sich unzählige neue Arbeitsfelder erkennen, für die es neben engagiertem Personal auch die notwendige Fachkompetenz und Ausstattung benötigt.

Die nur leicht steigenden Mitgliederzahlen von 1.610 auf 1.690 im Bereich des Rechtsextremismus in Niedersachsen sind nicht zuletzt auf das konsequente Vorgehen der Sicherheitsbehörden wie Polizei und Verfassungsschutz zurückzuführen. Nur durch motivierte Mitarbeitende war es jedoch möglich, den Verfolgungsdruck aufrechterhalten zu können und letztendlich Verbote der "Hammerskins Deutschland" und "Artgemeinschaft" umzusetzen.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Grenzen zwischen sonstigen Rechtsextremisten und "Reichsbürgern" immer weiter verschwimmen. Als Nährboden hierfür dienen Verschwörungstheorien und personelle Überschneidungen. Dies führt zu einer nur schwer berechenbaren und gewaltbereiten Mischszene, welche nicht zuletzt mit Heinrich XIII. Prinz Reuß an der Spitze den Umsturz der Bundesrepublik Deutschland geplant hatte.

Diese radikalen Ansichten zeigen sehr deutlich, dass obgleich der stagnierenden Mitgliederzahlen, der Rechtsextremismus weiterhin eine immense Bedrohung der freiheitlich demokratischen Grundordnung darstellt.

Die Verlängerung der Beobachtung des Landesverbandes "Alternative für Deutschland" (AfD) als Verdachtsobjekt für weitere zwei Jahre führt darüber hinaus zu starken personellen Belastungen. Die Notwendigkeit zur Beobachtung der extremistischen Kräfte innerhalb der AfD sind jedoch zwingend notwendig, um einem extremistischen Rechtsruck innerhalb der Parlamente zu verhindern.

Wie bereits im Bereich des Rechtsextremismus festzustellen, stiegen die Mitgliederzahlen des Linksextremismus ebenfalls nur leicht von 1.200 auf 1.250 Personen. Die Themenfelder des Linksextremismus, wie z.B. "Klimaschutz" und "Antifaschismus", dienen den handelnden Protagonisten als Möglichkeit, um in der Mitte der Gesellschaft ihre Ideologie zu verbreiten. Ehrbare Anliegen, wie die Erhaltung der Natur und Bekämpfung des Rechtsextremismus, seien nach ihrer Vorstellung nur mit dem Instrument des "Klassenkampfes" umzusetzen. Der Kapitalismus und somit auch der Staat stellen hierbei die Wurzel allen Bösen dar, welche zur Not mit Gewalt bekämpft werden müssen. Die eigene politische Auffassung wird hierbei als unfehlbar und einzige Option angesehen. Folglich findet die sonst so stark propagierte Meinungsfreiheit und Diversität in diesem politischen Konstrukt nicht statt.

Da durch die linksextremistische Szene der Staat und alle seine Bediensteten mit dem faschistischen Antagonisten gleichgesetzt werden, ist folglich auch das gewaltsame Vorgehen gegen z.B. Polizeikräfte und Politiker ein legitimes und vor allem angesehenes Mittel zum Zweck. Gruppendynamische Prozesse im Verlauf von Demonstrationen führen häufig zu einer Eskalations- und Gewaltspirale, welche sich entweder am rechtsextremistischen Gegenspieler oder den damit gleichgesetzten Polizeikräften entlädt. Diese Gewalt und Aggressivität finden ihr Ende jedoch nicht nur in der Realwelt. Auch auf einschlägigen Internetplattformen wie "Indymedia" und den sozialen Medien werden Vertreter des Staates öffentlich zur Schau gestellt, angeprangert oder diffamiert.

Die rückläufigen Mitgliederzahlen des Islamismus auf 700 Personen zeigen auf, dass viele Mechanismen gegriffen haben. Es zeigt jedoch auch sehr eindrucksvoll, dass sie trotz der sinkenden Mitgliederzahlen in Niedersachsen weiterhin weltweit für eine Vielzahl an Anschlägen und Gewalttaten verantwortlich sind. Terroristische Zellen und Einzeltäter stellen eine immense Bedrohung für die Gesellschaft dar, welche auch zukünftig konsequent aufgeklärt werden müssen, um solch grausame und verachtenswerte Anschlagsszenarien wie jüngst in Moskau durch den ISPK verhindern zu können. Nicht zuletzt war aus diesem Grund das Verbot der DMG Braunschweig unabdingbar. Es sorgte jedoch im gleichen Atemzug auch für eine massive Belastung der Mitarbeitenden des Verfassungsschutzes Niedersachsen.

Darüber hinaus führten die Folgen des Terrorangriffs der HAMAS am 07.10.2023 zu einer breiten Solidarisierung innerhalb der islamistischen aber auch säkularen Szene. Die Folgen dieser Solidarisierung sind jeden Tag auch in Niedersachsen spürbar. So werden Demonstrationen durch Vertreter der HAMAS angemeldet oder unterwandert, um diese als Plattform für ihre antidemokratische Ideologie zu Nutzen. Das frühzeitige Erkennen dieser Bestrebungen und das Verhindern von u.a. antizionistischen Äußerungen ist unabdingbar, damit sich auch weiterhin Menschen aller Religionen und ethnischer Zugehörigkeiten in Niedersachsen sicher fühlen können.

Der Extremismus mit Auslandsbezug weist ein gleichbleibend hohes Mitgliederpotential auf. So sind im Bereich der „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) 1.600 und im Bereich der türkischen Nationalisten (Ülkücü-Bewegung / Graue Wölfe) 700 Anhänger zu verzeichnen. Durch die aktuelle politische Lage in der Türkei und den kurdischen Gebieten im Irak und Syrien ergibt sich auch in Deutschland ein hohes Emotionalisierungspotential, was sich bei Aufeinandertreffen dieser Gruppierungen in gewalttätigen Auseinandersetzungen entladen kann. Zu nennen ist hier beispielhaft der Angriff durch kurdische Gewalttäter auf das türkische Generalkonsulat in Hannover im März 2024.

In allen Fachbereichen stellen wir also fest, dass die Mitgliederzahlen gleichbleibend hoch sind oder sogar steigen, was eine massive Belastung der Mitarbeitenden zur Folge hat. Die Verbote von Gruppierungen und der hohe Verfolgungsdruck führen zudem dazu, dass sich die Tätigkeitsfelder der "Reichsbürger" sowie des Linksextremismus, Rechtsextremismus, Islamismus und Extremismus mit Auslandsbezug immer weiter in die sozialen Medien verlagern. Hier bedarf es immenser Ermittlungs- und Recherchearbeit, welche neben hohen zeitlichen Aufwand auch das Offensein und Beschreiten neuer und innovativer Wege voraussetzt.

Zur Gewährleistung einer wehrhaften Demokratie und des Schutzes der freiheitlich Demokratischen Grundordnung bedarf es gut funktionierender Frühwarnsysteme. Der Verfassungsschutz Niedersachsen ist nur durch die engagierten Mitarbeitenden dazu in der Lage, diesen Schutz im gebotenen Maße aufrechtzuerhalten. Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass aufgrund unzähliger Verwaltungs- und Datenschutzvorschriften eine stetig wachsende Belastung des Personals zu verzeichnen ist. Damit diese zusätzliche Belastung nicht zu einer Überlastung wird, bedarf es zwingend einer Verschlankung der bürokratischen Prozesse.

Zudem fordern wir als Fachverband Innenministerium einen Stellenzuwachs im Bereich der Kernkompetenzen „Beschaffung und Analyse von Informationen“ des Verfassungsschutzes. Nur durch eine professionell erhobene Informationslage sowie eine kompetente Analyse dieser Datenlage können extremistische Bestrebungen und Einflussnahmen frühzeitig erkannt und der Schutz unseres Landes gewährleistet werden.

Wir sollten nie vergessen:

Innere Sicherheit ist kostbar, sie kostet aber auch und ist nicht selbstverständlich!

 

 

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